Die Harmonik, die wir hier meinen, hat es schwer, richtig verstanden zu werden. Schon im Artikel „Was ist Harmonik?“ wurde darauf hingewiesen, dass Harmonik nicht mit der in der Musikerziehung gelehrten Harmonielehre verwechselt werden darf.
Harmonik ist auch nicht im weiteren Sinn eine „Harmonielehre“, wonach sich in dieser unserer Welt letztlich immer alles in Harmonie auflöst oder doch auflösen sollte. So einfach kann und darf es sich Harmonik nach unserem Verständnis nicht machen.
Bevor wir tiefer einsteigen, müssen wir uns zunächst einmal mit dem vielfältig schillernden Begriff Harmonie auseinander setzen. Zunächst stammt das Wort Harmonie aus dem altgriechischen ἁρμονία, harmonía ab
Wer in Wikipedia unter „Harmonia-Begriffsklärung“ nachschaut, findet dort sieben verschiedene Antworten, die von griechischen Göttinnen bis zu Käfernamen reichen. Unsere Harmonik kommt dort überhaupt nicht vor.
Wer bei Wikipedia unter „Harmonie“ nachschaut, kommt zumindest im Kapitel „Begriffsgeschichte“ unserer Vorstellung von Harmonik schon näher. Es lohnt sich für unsere Fragestellung, dieses Kapitel sorgfältig zu studieren. So steht dort u.a.
Die Harmonielehre der Antike hat zwei Quellen:
- Die mathematischen Proportionen der Altpythagoreer und die sich daraus
entwickelnde theoretische Musik der Lehre von den harmonischen Maßverhältnissen - die dialektische Naturphilosophie, die nach den Vermittlungsgliedern der
fundamentalen Gegensätze suchte und Harmonie als Vermittlung alles
Gegensätzlichen ansah.
Für unser Thema sind beide Aspekte wichtig. Zwar ist für unser Harmonikverständnis geschichtlich vorrangig der Bezug auf Pythagoras und seine Lehre von den Zusammenhängen zwischen Zahl und Ton. Aber der 2. Punkt weist zumindest auf die sich heute immer klarer herauskristallisierende Vorstellung hin, dass Harmonik allgemeiner als ein Weg zur Überwindung der Gegensätze zwischen objektivem Wahrnehmen und subjektivem Empfinden verstanden werden muss.
Dazu muss nun klargestellt werden, was Harmonik grundsätzlich nicht ist und auch nicht sein darf.
Harmonik liefert keine objektive Beschreibung dessen, was wir von der Welt und dem Leben wissen können. Aber sie setzt ein nach dem Stand der Wissenschaft gesichertes Wissen voraus und bezieht sich darauf, und nur darauf.
Sie liefert keine Erklärungen für Vorgänge oder Erfahrungen, die wir mit dem Stand unserer objektiv gesicherten Erfahrungen nicht verstehen können. Sie bietet auch keine Pseudokenntnisse über vor unseren Sinnen verborgene Welten an.
Das ausschließliche Ziel der Harmonik ist es, für die nach dem Stand der Wissenschaft mögliche objektive Beschreibung der Welt, die uns Menschen umgibt, in unserem Inneren eine Entsprechung zu finden, die uns als Person einen Wert in dieser Welt und für unser Leben in dieser Welt verleiht.
Aber, ganz besonders wichtig: die Harmonik erklärt nicht, was dabei in unserem Inneren geschieht. Jedenfalls nicht als objektive Beschreibung, wie wir sie für die Außenwelt verwenden. Denn damit würden wir aus unserem Inneren ein Außen machen. Dem wir dann wiederum fremd gegenüber stehen würden. Wir blieben also uns selbst fremd.
Die Harmonik bietet uns Entsprechungen an, mit denen wir unsere subjektiven Empfindungen in Einklang bringen können mit unserem objektiven Wissen von der Welt in der wir leben.
Diese Entsprechungen können, ja dürfen deshalb keine kausal-logischen Zusammenhänge zwischen unserem objektiven Außen-Wissen und unserem subjektiven Innen-Empfinden herstellen. Werner Schulze hat vorgeschlagen [1], dafür den Begriff von analogischen Zusammenhängen zu verwenden.
So ist z.B. der Zusammenhang zwischen der Teilung einer Monochordsaite in
1, 1/2, 1/3, 1/4, 1/5 etc. und den Ton-Intervallen Grundton, Oktav, Quint, Oktav, Terz nicht kausal-logisch, sondern analogisch zu verstehen.
Der Begriff Einklang ist dabei nicht z. B. auf das Hören von Tönen beim Zuordnen von Zahlenverhältnissen, beschränkt. Einklang meint vielmehr ein inneres Mitschwingen mit den in der Außenwelt vorgefundenen Strukturen und Ordnungen.
Dabei geht es immer um eine Entsprechung zwischen einem rationalen Beschreiben der Welt und des Lebens um uns und einem emotionalen Mitvollzug dieser Welt und dieses Lebens in uns.
So und nur so entsteht persönliches Erlebnis – im Sinn des lateinischen Wortes „personare“ für „durchtönen“. Es geht also um den durchtönt in der Welt lebenden Menschen. Das meinte Hans Kayser, wenn er vom „hörenden Menschen“ sprach.
Abstrakt lässt sich auch sagen: durch dieses so verstandene „Hören“ vermag der einzelne Mensch die ihn umgebende, nur quantitativ beschreibbare, Welt in seinem Inneren qualitativ für sich zu bewerten.
So wird er zu einem persönlichen Wert,
„all-ein“ im großen Ganzen von Welt und Leben.